Unsere Nigeriareise startete am 30. Dezember 2022 in Wien. Nach den langen Flügen erwartete uns Kaplan Henry mit seinem Bruder und einigen weiteren Personen am Flughafen in Port Harcourt. Für mich war die Ankunft in Nigeria besonders spannend, da ich das erste Mal afrikanischen Boden betrat und die Umgebung dort begutachten konnte. Natürlich hatte ich typisch österreichische Vorannahmen, z. B. dass es dort sehr heiß ist oder dass die Kultur dort sehr anders ist als in Österreich und sich die Menschen möglicherweise ganz anders verhalten. Gleich zu Beginn hat mich aber die Herzlichkeit der Menschen fasziniert und ich habe mich sofort von allen gut aufgenommen gefühlt. Das Einzige, woran man sich gewöhnen musste, war eigentlich die Sprache und das scharfe Essen.
Die wohl erste afrikanische Erfahrung, die wir dort machen durften, war die Autofahrt vom Flughafen zum Henry-Haus – die wohl schlimmste Autofahrt meines Lebens. Die Worte „Die Straßen in Nigeria sind eigentlich ganz schön.“ unseres lieben Kaplans Henry, die er mir ein paar Tage vor der Nigeriareise einmal zugeflüstert hat, haben sich nämlich bei Weitem nicht bestätigt. Er hat aber dann erzählt, dass für ihn die Straßen nicht so schlecht sind, weil sie vor Jahren noch viel schlimmer waren: Die Straßen waren von riesigen Schlaglöchern nur so übersät, was bedeutete, dass die Insassen der Autos durch die ständigen Ausweichmanöver nur so hin- und hergeschleudert wurden. Außerdem gibt es dort keine Spurlinien und – mir scheint – auch eigentlich weder Verkehrsregeln, noch Beschilderungen. Alle fahren einfach drauf los, hupen, geben undefinierbare Handzeichen und hoffen das Beste, und wenn’s doch eng wird, wird im Sinne eines kurzen Stoßgebets in englischer Sprache laut „Jesus“ gerufen. Neben der Straße spazieren übrigens zahlreiche Menschen, die in Anbetracht dieses wilden Straßenverkehrs meiner Meinung nach sehr gelassen wirken. Bewundernswert fand ich außerdem die Personen, die zu fünft auf einem Motorrad saßen. Mit unseren durchschnittlich gefühlt 30km/h kamen wir dann ungefähr nach 3 Stunden Fahrt an unserem Ziel an und konnten erstmals mit sehr netten Einheimischen in Gespräche kommen.
Am nächsten Tag fand die Primiz von Kaplan Henry in seiner Heimatpfarre statt – der Grund, warum wir eigentlich nach Nigeria fuhren. Hunderte sehr bunt gekleidete Leute nahmen an der fast 4-stündigen heiligen Messfeier teil. Ich als Österreicherin kann dazu nur sagen: So eine lebendige, fröhliche Liturgie habe ich in Österreich noch nie erlebt. Alle Menschen sangen lautstark mit und tanzten! Obwohl teilweise nicht ganz richtig gesungen wurde, hat mich die Kirchenmusik dort dennoch tief berührt, weil man spürte, dass die Leute mit ganzem Herzen mitfeierten. Bei der Gabenbereitung traute ich meinen Augen kaum, als die Menschen Hühner und Ziegen als Opfergaben darbrachten.
In den darauffolgenden Tagen und Wochen war es uns ein besonderes Anliegen, armen nigerianischen Familien einen Besuch abzustatten und diese z. B. durch den Kauf einer Matratze, einer Kleidung, einer Mahlzeit, einer Nähmaschine etc. zu unterstützen. Damit Sie sich vorstellen können, welche Dimensionen Armut in Nigeria hat, werde ich hier einige Beispiele anführen:
- Kaum bis nie eine warme Mahlzeit
- Zu wenig Geld um überhaupt Nahrung kaufen zu können
- Keine Matratze zum Schlafen; Kopfpölster gibt es sowieso kaum
- Platzprobleme (beispielsweise teilen sich oft mehrere Personen einen Raum zum Schlafen, der vielleicht ungefähr 15 m2 groß ist)
- Kaum Kleidung (z. B. ein zerrissenes T-Shirt und eine zerrissene Hose)
- Kein Wasser zum Trinken oder für die Körperhygiene, schon gar kein Wasser zum Abwaschen von Kochtöpfen oder Geschirr
- Keine Möglichkeit, im Falle von Krankheit medizinische Versorgung zu bezahlen
Darüber hinaus lud Kaplan Henry an einem Tag um die 250 arme Kinder, die um ihr tägliches Brot kämpfen müssen, zu seinem Haus ein, die von uns ein warmes Essen erhielten. Für 250 Kinder zu kochen, stellte sich als große Herausforderung heraus. Deshalb halfen alle fleißig mit, auch Kaplan Henry, wie in dem einen Foto erkennbar ist. Die eingeladenen Kinder haben dann für Kaplan Henry und die Spender/innen gebetet
Gut angenommen wurde auch das von Kaplan Henry organisierte Sehtest- bzw. Brillenprojekt, bei welchem an einem gesamten Tag drei Augenärzte freiwillig die Augen von insgesamt 211 armen Nigerianer/innen kontrollierten. Benötigte Medizin, Brillen etc. wurden dabei übrigens von Kaplan Henry aus eigener Tasche finanziert, ebenso wie die Mahlzeiten für die armen Kinder und die Unterstützungsleistungen für die zahlreichen armen Familien.
Auch eine Schule konnten wir in Nigeria besuchen. Die Kindergartenkinder und Schüler/innen freuten sich besonders über unsere mitgebrachten Schreibwaren und dass sie vielleicht zum ersten Mal „Weiße“ zu Gesicht bekamen. Den Kindern hat man angemerkt, dass sie dankbar darüber sind, in die Schule gehen zu können, denn sie hatten alle viel Freude beim Arbeiten. Viele Kinder haben in Nigeria leider nicht die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen.
Unsere Freizeit verbrachten wir bei Henry zuhause mit seiner Familie. Mehrmals täglich kam es vor, dass arme Menschen aus dem Dorf Kaplan Henry einen Besuch abstatteten, um ihn um finanzielle Unterstützung für diverse Dinge zu bitten. Mit den Schicksalen der einzelnen Menschen konfrontiert zu werden, ist uns allen nicht leichtgefallen. Am liebsten würde man jeder Familie helfen wollen, was selbstverständlich nicht möglich ist. Daher hat Kaplan Henry immer wieder versucht, sich in seinem eigenen Zuhause vor den vielen Menschen zu verstecken.
Mehrmals besuchten wir nigerianische Märkte, an denen wir als „Weiße“ immer besonders genau gemustert wurden. Interessant war auch, wie die Kinder unterschiedlich auf uns reagierten. Manche sind vor Schreck weggelaufen, andere sind ganz nahe hergekommen. Einige Kinder wollten mich auch berühren. Zumeist berührten sie mich nur mit einer Fingerspitze, die sie dann sogleich musterten, um zu sehen, ob meine weiße Hautfarbe eh nicht abfärbt. Besonders beliebt – sowohl bei Jung und Alt – waren meine Haare. An denen wurde ständig gezogen.
Wir hatten außerdem die Ehre, dem Gouverneur von Imo-State einen Besuch abzustatten. Was mir eher unangenehm war, war, dass man als Weiße irgendwie sehr königlich behandelt wurde. So bekam ich mein Essen beim Gouverneur eine lange Zeit vor allen Priestern, die mit mir am Tisch saßen und als besondere Delikatesse wurde mir sogar eine gebratene Schnecke serviert, die ich aber ohne zu Zögern an Kaplan Henry weiterreichte. Auswertiges Essen konnte ich übrigens aufgrund der Schärfe kaum Essen.
Auch dem örtlichen König und seiner Lola (der Gemahlin des Königs) durften wir einen Besuch abstatten. Der König und seine Freu freuten sich sehr, dass einer aus ihrem Dorf Priester geworden ist. Dort erhielten wir die Cola-Nuss.
Dreimal nahm mich Kaplan Henry auch in größere Städte mit. Zweimal nach Umahia und einmal nach Owerri. Die Städte kamen mir sehr überrannt vor. Es ist dort irrsinnig viel Verkehr und man sieht sehr viele Polizisten, die – mir kam es zumindest so vor – immer in meine Richtung geblickt haben. Alleine würde ich dort wahrscheinlich sehr schnell verloren gehen oder festgenommen werden. Bei „Father Henry“ habe ich mich allerdings sehr sicher gefühlt, da die Menschen im Imo-State sehr viel Respekt vor katholischen Priestern haben. In den Städten muss man sehr aufpassen. Wenn man eine weiße Hautfarbe hat, glaubt jeder, dass man reich ist und die Leute betteln oder wollen dich beklauen. Daher hatte ich immer lediglich eine Wasserflasche dabei und bin aus Selbstschutz im Gänsemarsch zwischen Kaplan Henry und einem weiteren Nigerianer marschiert.
Einige Tage vor der Abreise, nachdem Sigrid und ich bereits genügend Eindrücke vom Leben in Nigeria hatten, haben wir uns zu dritt entschlossen, eine Sozial- und Entwicklungshilfeorganisation zu gründen. Als Gründerinnen einer NGO namens Herz für die Armen und mit viel weniger Geld in der Tasche, aber dennoch reich beschenkt durch die Liebe, die uns die nigerianischen Menschen entgegenbrachten, sind Sigrid und ich am 15. Jänner schließlich wieder in Wien am Flughafen angekommen. Uns beiden fiel der Abschied von den liebevollen, lebensfreudigen Menschen sehr schwer und wir hoffen natürlich auf ein baldiges Wiedersehen.
Nach unserer Abreise stattete Kaplan Henry noch vielen weiteren armen nigerianischen Familien sowie dem Knabenseminar einen Besuch ab und leistete finanzielle Unterstützung. Die Buben vom Knabenseminar waren so über den hohen Besuch erfreut, dass sie unbedingt wollten, dass Henry mit ihnen isst. Henry sieht am Foto zwar sehr glücklich aus, recht begeistert hat ihn das Essen aber nach eigenen Angaben dennoch nicht.
Danke, Henry, für deinen großen Dienst der Nächstenliebe an den nigerianischen Menschen. Du hast wahrlich ein Herz für die Armen! Und danke auch, dass ich dich nach Nigeria begleiten durfte und jetzt diesen lieben Menschen durch unsere gemeinsame Vereinsarbeit helfen kann. Arme Menschen in Afrika zu unterstützen war auch schon immer meine Vision.